29.02.2024

Wiederaufbau in Cherson mit SWB-Expertise

Bei ihrem ersten Besuch in Deutschland steuerte eine Delegation aus dem ukrainischen Cherson mehrere Anlaufstellen der Infrastruktur und Verwaltung der Stadt Bonn an – darunter auch zwei Standorte der Stadtwerke Bonn. Die Gäste vom Schwarzen Meer waren für drei Tage in die Bundesstadt gekommen, um die Solidaritätspartnerschaft beider Städte zu bestärken und sich in Sachen Soforthilfe sowie langfristigem Wiederaufbau auszutauschen.

Eine Delegation aus Cherson besuchte verschiedene Standorte der Stadtwerke Bonn, darunter auch das Haus der Netze an der Karlstraße. (Alle Fotos: SWB/Martin Magunia)

Am Montag, 26. Februar, kam die Delegation zunächst in die Verkehrsleitstelle von SWB Bus und Bahn an der Thomas-Mann-Straße, wo sie von Geschäftsführerin Anja Wenmakers begrüßt wurde: „Der öffentliche Nahverkehr ist in vielen großen Städten der Ukraine durch den Krieg zusammengebrochen. Aber es braucht Perspektiven, um die Menschen baldmöglichst wieder sicher durch den Alltag zu bringen. Deshalb teilen wir unsere Ideen zur Mobilitätswende gerne und loten mögliche Hilfen aus. Das alles, verbunden mit einem Einblick in das Herzstück unserer Verkehrsinfrastruktur.“

Die Delegation aus Cherson zu Besuch in der Leitstelle von SWB Bus und Bahn.

Der stellvertretender Bürgermeister Chersons Vitalii Bielobrov bestätigte: „Zu Hause gibt es jeden Tag Angriffe auf unsere Stadt.“ So sei nach zwei Jahren Krieg die Zerstörung groß. Viele seien geflüchtet, weshalb die Bevölkerungszahl in Cherson von 320.000 auf etwa 92.000 geschrumpft sei. „Aber für die Dagebliebenen ist es wichtig, mobil zu sein“, so Bielobrov weiter. In Begleitung von zwei Dolmetschern begutachteten die vier Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverwaltung Chersons mit großem Interesse die zahlreichen Monitore, Telefone und Anzeigen in der Leitstelle. Denn mit Hilfe des modernen Equipments können die Kolleginnen und Kollegen der Leitstelle den gesamten ÖPNV auf Straßen und Schienen in Bonn und dem Umland rund um die Uhr überwachen und koordinieren.

Material und Wissen aus Bonn

Wie SWB Bus und Bahn die Mobilität der Bonnerinnen und Bonner organisiert und gleichzeitig die Verkehrswende im laufenden Betrieb realisiert, führten Anja Wenmakers, Betriebsleiter Friedrich Zauner und der Leiter der Verkehrsleitstelle Joachim Schallenberg aus. Die Gäste äußerten die Absicht, eine nachhaltige Mobilitätsstrategie für ihre Stadt zu entwerfen und freuten sich über die Zusage, dass sie dabei mit der Expertise der SWB rechnen können. Nach Möglichkeit stellten die SWB auch Fahrzeuge in Aussicht. Die Bahnoberleitungsbusse Chersons sind laut Bielobrov ständigem Beschuss durch die Russen ausgeliefert. Besonderer Bedarf bestehe deswegen aktuell bei kleinen und weniger auffälligen Bussen von maximal zehn Metern Länge.

Leiter der Verkehrsleitstelle Joachim Schallenberg (4 v.l.) führt durch die Räumlichkeiten und erklärt die Arbeitsplätze.

Wiederaufbau als Chance

Der Krieg sei eine Tragödie, so die Delegation, aber den Wiederaufbau möchte Cherson als Gelegenheit nutzen, um sich künftig nachhaltiger aufzustellen. Bei diesem Werdegang sehe sie das Knowhow der SWB als wertvolle Bereicherung und man sei dankbar für Hilfen in der Akutsituation. Die Gäste aus Cherson interessierten sich im Hinblick auf die Bonner Klimaziele und die Vorgaben der Europäischen Union besonders für die Infrastrukturstrategie der SWB. Schließlich beabsichtige die Ukraine den EU-Beitritt und Cherson wolle mit SWB-Unterstützung dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen und eine moderne europäische Stadt zu werden, die für die Energiewende gewappnet ist. Bielobrov erklärte: „Wenn wir das nicht mitdenken, würden wir viele Ressourcen verschwenden.“

Vorbild für eine nachhaltigere Energieversorgung

Danach ging es weiter ins Haus der Netze an der Karlstraße, wo BonnNetz-Geschäftsführer Urs Reitis die Gäste über die Schaffung lokaler Infrastruktur, Energiemanagement sowie Wasser- und Wärmeversorgung informierte. Dabei erklärte Reitis: „Fließendes Wasser, Strom und beheizte Wohnungen gehören zu den Grundbedürfnissen und sind ein hohes Gut. Unsere Gäste aus Cherson und uns als Betreiber kritischer Infrastruktur verbindet die Mission, stets eine sichere und funktionsfähige Versorgung zu gewährleisten.“

Rolf Driller, Leitender Technischer Angestellter, führte die Gäste aus Cherson durch das HKW Nord.

Gemeinsam mit Rolf Driller, Leitender Technischer Angestellter im Heizkraftwerk (HKW) Nord, beantwortete der BonnNetz-Chef Fragen zur Energieversorgung und zur Versorgungssicherheit hierzulande. Außerdem erläuterten sie, wie der Bonner Infrastrukturbetreiber den Wechsel von fossilen Brennstoffen auf regenerative Energieträger vollziehen möchte und präsentierten im Zuge einer Führung durch das HKW auch die neue wasserstofffähige Turbine. Auch die Pläne für eine Flusswärmepumpe am Rhein wurden besprochen. Eine Idee, die sich ebenfalls für Cherson lohnen könnte, da die Stadt am großen Fluss Dnipro liegt. 

BonnNetz pflegt eigene Solidaritätspartnerschaft

Der Rat der Stadt Bonn hatte im Februar 2023 die Solidaritätspartnerschaft mit Cherson beschlossen. Unabhängig davon ging BonnNetz im vergangenen Jahr eine eigene Solidaritätspartnerschaft mit dem kommunalen Wasserversorger „Vodo Kanal“ in Cherson ein, für die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Fördermittel gibt.

Bilder und Berichte der Partner in Cherson zeugten von den weitreichenden Schäden in der Stadt, die nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms auch noch überschwemmt wurde, so Urs Reitis. „Für uns ist es daher eine Selbstverständlichkeit, den örtlichen Abwasser- und Trinkwasserversorger in Cherson zu unterstützen. Dazu teilen wir natürlich gerne unsere Erkenntnisse und Erfahrungen und helfen den Kolleginnen und Kollegen in Cherson mit Materiallieferungen aus, die dringend für die Wiederherstellung der zerstörten Infrastruktur benötigt werden“, bekräftigte Reitis. Diese versuchten unter Einsatz ihres Lebens zu flicken, was geht.

BonnNetz-Geschäftsführer Urs Reitis (r.) im Austausch mit den Vertreterinnen und Vertretern der Stadt Cherson.

Aktuell stehen vier ausgediente Wasserpumpen der SWB-Tochter bereit, um zeitnah in die Hafenstadt am Schwarzen Meer überführt zu werden. Denn die Russen haben Berichten zufolge das Wasserwerkgelände vermint und Versorgungsstrukturen in einer Tiefe von neun Meter im Boden unnutzbar gemacht, um das Leben für die Menschen dort erheblich zu erschweren. (as/cp)

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